Fredy Peissard (*1954)
Der Generationen-Brunnen, 1993
Kalkstein, Eisen
Altersheim Sense-Mittelland, Tafers
(Foto: B. Fasel)
Fredy Peissard realisierte im Sensebezirk mehrere Brunnenplastiken. Der Künstler, der zuerst den Beruf eines Maschinenmechanikers erlernen wollte, sich dann aber für die Kunst entschied, gestaltet seine Werke oft in Form von komplexen beweglichen Mechanismen, hinter denen gesellschaftspolitische Ideen und seine persönlichen weltanschaulichen Gedanken stecken. Das Verstehen dieser Werke bedingt oft nicht bloss ein aufmerksames Betrachten, sondern auch Kenntnis der Geschichte, die Peissard uns erzählen möchte.
Anlässlich der Einweihung des Brunnens hatte Anton Jungo Gelegenheit, sich mit dem Künstler eingehend zu unterhalten. Seine einleitende Anmerkung zur folgenden Werkbeschreibung - „Versuch einer Deutung“ - zeugt von seinem Ringen, um die Darstellung des komplexen Inhalts:
Versuch einer Deutung von Fredy Peissards „Zeitplastik“
Aus einem Felsbrocken sprudelt Wasser in ein rotes, herzförmiges Gefäss. Ist das Herz voll, geht für einen Augenblick ein Geratter los: das Gefäss wird leergekippt, Metallteile knirschen, eine rote Kugel schnellt durch die Luft, ein Mahlstein platscht ins Wasser, und an der nahen Hauswand nimmt der Uhrzeiger auf einem Zifferblatt mit menschlichen Gesichtern einen Sprung.
Zehn Minuten muss man mindestens aufwenden, um den Verlauf des geschilderten Geschehens am neuen Brunnen, den der Bildhauer und Eisenplastiker Fredy Peissard für das Altersheim des Sensemittellandes in Tafers geschaffen hat, mitzuerleben. Es lohnt sich aber auch eine grössere Investition an Zeit, um das Funktionieren dieser „Zeitplastik“ zu verstehen und über die bildliche Aussage des Künstlers zu meditieren.
Der Mensch fühlt sich von der Natur dazu gedrängt – Fredy Peissard spricht von Urprägung und innerer Triebfeder, hat aber auch nichts dagegen, wenn man es Schöpfungswillen nennt -, sich zu vermehren. Die Natur, die die Lebewesen zu Vermehrung und Wachstum drängt, wird im Taferser Brunnen durch einen Felsbrocken symbolisiert, aus dem das Lebensprinzip Wasser sprudelt. Aus dem Felsbrocken wächst auch eine menschliche Gestalt. Die Urprägung, die innere Triebfeder des Menschen, wird durch eine Spiraledargestellt.
Sich vermehren heisst wachsen, sich ausdehnen, Raum beanspruchen. Der Raum aber wird knapp, es kommt zu Verdrängungskämpfen und sozialen Konflikten. Wachstum wird zum Problem. Auf der Spirale ist eine Zeitmess-Skala für 10 Minuten aufgezeichnet. Über diese Skala fährt ein Zeiger mit der Ziffer 1884. Laut neuesten Schätzungen der Uno wächst die Menschheit alle 10 Minuten um 1884 Individuen. Hat der Zeiger die Skala durchlaufen, wird ein Mechanismus ausgelöst, und die 1884 neuen Menschen werden symbolisch auf das Zifferblatt an der nahe liegenden Hauswand „transportiert“: der Urzeiger nimmt einen Sprung. Im Verlauf eines Tages wird die Erde von 280 000 zusätzlichen Menschen besiedelt. Das Zifferblatt, auf dem in Graffito-Technik in drei Farben menschliche Gesichter dargestellt sind, bildet keinen geschlossenen Kreis – will heissen: Vermehrung und Wachstum gehen munter weiter. Dass ausnahmslos alle Menschen gemeint sind, deutet Fredy Peissard mit den Farben weiss, rot, schwarz und gelb auf der menschlichen Figur an, die aus dem Felsbrocken herauswächst.
Der Mensch konnte bislang immer den Eindruck vermitteln, aus Liebe und aus sozialer Verantwortung zeuge er sich fort, damit die nachfolgende Generation durch ihre Arbeit ihre betagten und kranken Erzeuger erhalten könne. Mit Vernunft, Erziehung, Technik, Geld und Glück – in Symbolen dargestellt – versucht er das Wachstum unter Kontrolle zu halten.
Fredy Peissard meldet durch seinen Brunnen Zweifel an dieser edlen Sicht der Dinge an. Ein grosses rotes Herz symbolisiert die Liebe, und dieses Herz füllt sich auf mit der Lebenskraft, die aus dem Fels sprudelt. Aber am Herzen hängt im Dunkeln, abgetrennt durch einen enggeschnallten Gürtel, ein Organ – für das man viele und keinen Namen hat. Triebe wachsen daraus hervor und krallen sich im Herz fest. Es ist also nicht nur Liebe, um die sich die Wachstums-Spirale ins Unendliche dreht.
Der Zeiger mit der 1884-Ziffer ist ständig in Bewegung, das Herz füllt sich mit Wasser: jetzt wird ein Mechanismus ausgelöst. Unter Knattern wird das Herz geleert, die 1884 neuen Menschen werden aufs Zifferblatt transportiert und aus dem Gesicht der menschlichen Gestalt schnellt als rote Kugel das Auge – Symbol der Vernunft und Weitsicht – durch die Luft. „Liebe macht blind“, oder wie sich der Künstler ausdrückt: „wenn das Herz voll ist, dreht die Vernunft durch“.... nach kurzem Knattern fängt das ganze wieder von vorne an, obwohl der Mensch das Messer auf der Brust und den Mahlstein am Hals hat.
Fredy Peissard will mit seiner „Zeitplastik“ die Bewohner des Altersheims und seine Besucher einladen, sich darüber Gedanken zu machen, wie lange der Mensch mit Natur und Umwelt – wovon er selbst ein Teil ist – in der heutigen Art und Weise umspringen kann. Könnte es nicht sein, dass er mit seinem Verhalten zerstört, was er während Jahrtausenden aufgebaut hat – auch die sozialen Werke – und schliesslich die Menschheit auslöscht?
Er hat aber auch nichts dagegen, wenn jemand sich an seiner „Zeitplastik“ ganz einfach freut ...
(Jungo, 1993)
Quelle: Jungo, Anton, Versuch einer Deutung von Fredy Peissards „Zeitplastik“ / Wenn die Vernunft spazierengeht, Freiburger Nachrichten, 13.09.1993
Fragen und Anregungen für den Unterricht
- Liste die verschiedenen Teile der Brunnenplastik auf und benenne sie. Wie viele Teile kannst du unterscheiden?
- Beobachte die Funktionsweise der Anlage. Was passiert, wenn das grosse rote Herz mit Wasser gefüllt ist? Und dann ... ? Beschreibe und erkläre den Ablauf der Maschine.
- Welche Teile des Brunnens sind farbig hervorgehoben? Welche Rolle spielt dabei die Farbe?
- Entdeckst du an der Plastik eine Münze? Sie versinnbildlicht Geld und Reichtum. Gibt es andere Symbole, also Teile, die einen sinnbildlichen Charakter aufweisen könnten?
- Kennst du andere Künstler, die bewegliche Kunstwerke schufen? Suche nach Beispielen der kinetischen Kunst.
- Betrachte Werke von Jean Tinguely.
- Erfinde selber eine bewegliche "Kunstmaschine".
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